Reflektionen zu den Portraits von Barbara Kinzelbach  
            von Prof. Thomas Duttenhoefer Darmstadt 
            In den unterschiedlichen bildnerischen Medien bleibt das Portrait   von großer Anziehungskraft, doch was ist das immer wieder Faszinierende? Ist es   das Formale, die Erscheinung von Form und Farbe, die Architektur von Kopf und   Gesicht, die Mimik, die Expression von Auge und Mund? Sind es die Aspekte des   Psychologischen? Und was unterscheidet den Kopf vom Portrait? Nun, gerade die   Darstellung des einmaligen, individuellen und unverwechselbaren Gegenübers,   interpretiert von einer schöpferischen Persönlichkeit, lassen uns vom Portrait   sprechen.  
            Jeder von uns trägt schon von Amts wegen sein Konterfei in Pass   und mancherlei Ausweisen mit sich zur schnellen Identifizierung. Wenn auch diese   durch biometrische Daten erweitert wird.  
            Was die Bilder und Zeichnungen von Barbara Kinzelbach betrifft, so   sind die bildnerischen Ergebnisse das Resultat präziser Beobachtung und   gelungener Umsetzung. Meisterlich schildert sie die einmalige Erscheinung ihrer   Modelle. Nicht nur, dass diese wirklich erfasst sind und uns ihre Interpretation   von Ähnlichkeit vermitteln, so sind sie auch stimmig im Hinblick auf   kompositorische und malerische Merkmale.  
            Denn die malerische und zeichnerische Bewältigung, wie die   spannungsvolle Gestaltung trägt das Bild des Modells über dessen Ende hinaus   weiter. Dass auch das Portrait dem wesentlich Wirkenden von Farbe, Form, Linie   und Fläche wie jede gelungene Komposition zu genügen hat, zeigt die Malerin in   jeder Arbeit in überzeugender Art und Weise.  
            Das Besondere ihrer malerischen Formulierungen ist neben der   Ähnlichkeit die durch die Anwendung ihrer Technik erzeugte Transparenz. Durch   Eitempera gebundene Pigmente wirken nicht deckend sondern lasierend, die   farbigen Linien und weiter gehenden Verdichtungen schaffen neben der Spannung   zur transparenten Fläche das Gerüst des physiognomischen Aufbaus.  
            Intuitiv setzt Barbara Kinzelbach durch Nuancierung Ausdruckswerte   von Augen und Mund in die Großform des Kopfes. Präzise formuliert sie die   Position von Ohren und Nase. Die gebrochenen Farbtöne schaffen Analogien zur   menschlichen Haut. Und doch sind die malerischen Resultate niemals Kopie,   sondern Interpretation.  
            Fast seherisch schafft sie im Portrait „Michael S., 1994" durch   Verschattung der Augenpartien, durch den gesamten malerischen Vortrag überhaupt,   das Tragische und Brüchige der Existenz des Dargestellten zum Ausdruck zu   bringen. Sicherlich eine ihrer stärksten Arbeiten.  
            Das Portraitieren selbst geschieht im spontanen und treffsicheren   Einsatz der Mittel in wenigen Sitzungen. Bar jeder vordergründigen Buntheit, bar   jeglicher Schmeichelei lotet Barbara Kinzelbach Tiefe und Ausdruck ihrer   Gegenüber aus. Sicher in zupackender Expression schafft sie ein anrührendes   Panorama der Zeitgenossen in ihrer Verletztheit und Verletzlichkeit.  
            Mitunter melancholisch oder gar geformt durch die Trauer über die   verrinnende Zeit ihres Daseins blicken uns die Gesichter an, in sich hinein oder   durch uns hindurch.  
            Vielfach in ihrer Frontalität, vergleichbar mit den Wachstafeln   der Mumienportaits von Fayum, die uns eben so fragend wie abgeklärt anblicken,   geben die Portraits Zeugnis über das Leben, der Ahnung vom Ende und der Frage   nach dem, was bleibt.  
            Sich selbst schont Barbara Kinzelbach keineswegs. Dieselbe   Befragung durch Farbe und Form, die Schilderung von Ausdruck und Tiefe gilt   ebenso den Selbstportraits. Aber nicht das brutale Offenlegen, das mitunter die   Gratwanderung zwischen äußerster Präzision und bester Karikatur zeigt, sondern   immer ist die Empathie für das Gegenüber in den Bildern spürbar. Freilich, wie   gesagt, wird das Portrait kein Abmalen sondern die Summe vieler intuitiv   erfasster Vibrationen des Modells.  
            Immer ist das Portrait Ergebnis des Wechselspiels von Sender und   Empfänger. Was macht die Wirkung des Gegenübers aus, was ist letztlich das   Ergebnis und wie ist der Weg dahin? Diese Aufgabenstellung bleibt immer aktuell,   der Malakt, die Realisation ist die Antwort.  
            Natürlich ist die Kunst des Portraitierens nur bis zu einem   gewissen Grad erlernbar, wenn überhaupt. Und Voraussetzung ist immer das   Faszinosum des Gegenübers. Oft ist es die Präsenz des Antlitzes im Raum, die   farbigen Nuancen der Lichtreflexe auf der Haut, die Farbe von Haut und Haar, die   Form von Nase und Kinn, die Rottönung der Ohren im Gegenlicht. Anlässe genug   zur Realisierung. In großzügiger Verknappung der Details und Konturen erreicht   Barbara Kinzelbach im Malakt tiefen Ausdruck.  
            Was für die Temperabilder gilt, ist für die Zeichnung ebenso   bedeutsam. In scharfem Schwarz-Weiß-Kontrast auf hellem Papier, in den   fließenden Hell-Dunkel-Gegensätzen der Tuschezeichnungen erscheinen die   Gesichter als Träger von starkem Ausdruck. Doch nicht die Skizze als Manier,   sondern die bildhafte Komposition ist das Ergebnis. Dazu gehört die Anordnung   des Kopfes auf der Fläche, zum Beispiel in „Selbst, 2005" wird eine enorme   Spannung durch die offene weiße Fläche erzielt. Dieses Dreieck steigert Ausdruck   und Form ungemein.  
            Es scheint, als ob in den Portraits der gestische, spontane Malakt   durch die Notwendigkeit der Form gebändigt wird. Aber immer bleibt die   gewissermaßen formende Pinselspur sichtbar. Barbara Kinzelbach spürt instinktiv,   wann der Malakt zu Ende kommen muss, um Lebendigkeit, Vibration und   Gesamtwirkung zu einem Ganzen zu verdichten. Nirgends entsteht die Gefahr, die   Fläche totzumalen.  
            Mit Souveränität und spürbarer Lust zeigt sie uns ein   beeindruckendes Panorama der Zeitgenossen, allerdings abseits aller Moden. Ihr   genügen Pinsel und Pigmente auf der Fläche um ihre Faszination am Gegenüber zum   Bild werden zu lassen. Stets hat sie allerlei Verlockungen widerstanden, die zur   Manier erstarrter Gestaltung führen.  
            Mag ihre Tätigkeit als wissenschaftliche Zeichnerin die   Beobachtung geschult haben, ihren „Subtilen Jagden" gilt die Einheit von   sichtbarem Gestus und Form.  
            Scheinen die Gesichter mitunter wie gehäutet aus dem Malgrund sich   herauszuschälen, frei auf die Fläche gesetzt, mit Linien ausbalanciert zu sein,   immer scheint die portraitierte Person durch.  
            In ihren Existenzportraits setzt die Künstlerin ihre ebenso   sinnliche wie analysierende Interpretation des Menschen in unserer Gegenwart.  
            Hier findet sich das Ich im Du (Martin Buber).   |